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Johanneskirche

Im Rahmen des Festgottesdienstes zum 120-jährigen Bestehen am 6. Juli 2018 hat Superintendent Christian Weyer eine Predigt gehalten, in deren Mittelpunkt die Johanneskirche, ihre Geschichte und ihre Verankerung in der Gesellschaft steht.

Liebe Festgemeinde,

die 120-jährige Geschichte der Johanneskirche ist zugleich die Geschichte einer Kirche, die mit einem Sozialraum nicht nur gemeinsam entstanden ist,
sondern die sich mit diesem auch verändert und gewandelt hat.
Die Johanneskirche in Saarbrücken zeigt in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen, wie eng die evangelische Kirche und die Gesellschaft in diesem Sozialraum miteinander verbunden waren und sind und sich gegenseitig geprägt haben und prägen. Deshalb will ich meiner Predigt einen Bibelvers aus dem 29. Kapitel des Buches des Propheten Jeremia zugrunde legen, zugegebenermaßen zu solchen Anlässen etwas abgegriffen, aber ich finde, er trifft:

„Sucht der Stadt Bestes … und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl.“ (Jeremia 29,7)

Was dieser Vers uns am Tag des heutigen Jubiläums sagen kann, will ich in dreifacher Weise entfalten:

1. Kirche und Stadt auf der Suche nach dem Besten für das Gemeinwesen

Schon die Entstehungsphase der Johanneskirche macht deutlich, wie eng hier die Kirchengeschichte und die Stadtgeschichte verflochten waren:
Nach der Eröffnung des Bahnhofs auf der St. Johanner Seite der Saar und der Kanalisierung der Saar wuchs St. Johann enorm an, da die Stadt nun sehr gut angebunden war.

Eine emsige Bautätigkeit musste in geordnete Bahnen gelenkt werden. Im Konzept des Stadtplaners Kreyssig, den die St. Johanner Administration mit der Planung beauftragten, war ein netzartiges, symmetrisches Straßensystem vorgesehen, das großzügige Plätze miteinander verband. Ein neues monumentales Rathaus und ein dazugehörender repräsentativer Platz waren Teil des Konzepts.
 

Zugleich suchte die Kirchengemeinde St. Johann einen Platz für eine neue, größere Kirche, denn die bisherige Kirche aus der Barockzeit, die heutige Alte Kirche, konnte die anwachsende Gemeinde nicht mehr fassen. Nach langen, umständlichen Verhandlungen einigten sich Stadt und Kirchengemeinde, die neue evangelische Kirche gegenüber dem neu entstehenden Rathaus zu positionieren.

Diese Planung sah nun vor, dass die Kaiserstrasse direkt auf das Portal der neuen evangelischen Kirche zuläuft und dass die Kirche das entstehende neugotische Ensemble um den Rathausplatz in markanter Weise ergänzt.
Eng verflochten sind schon in dieser Phase der Entstehungszeit der Johanneskirche Kirche und Stadt, Stadt und Kirche. Aufeinander bezogen und miteinander um die Gestaltung eines Sozialraumes ringend schreiben Stadt und Kirche gemeinsam Geschichte. Indem die evangelische Kirche sich in die Stadtplanung einbinden ließ, suchte sie der Stadt Bestes – auch wenn diese Planungsphase nicht frei war von Störungen und Mißverständnissen. Aber das Ergebnis war doch: Man machte sich gemeinsam auf den Weg, um die Stadt voranzubringen.

Nachdem der Grundstein der Johanneskirche am 21. April 1895 gelegt worden war, konnte sie am 6. Juli 1898 unter Leitung von Oberpfarrer Gustav Ilse eingeweiht werden. Vom 23.-25. Juni 1900 fanden die Einweihungsfeierlichkeiten zum neuen St. Johanner Rathaus, geplant von Georg von Hauberisser, statt. Wenig später kommt das Postgebäude hinzu. Es entsteht ein neogotische Ensemble, das bis heute prägend ist. „Sucht der Stadt Bestes.

2. Die mehrfachen Umbauten der Johanneskirche – die Geschichte einer Gesellschaft und ihr Einfluss auf das Innenleben einer Kirche

Die Johanneskirche in Saarbrücken ist zweimal grundlegend umgebaut worden. Sie wurde gebaut und eingeweiht in der Phase des späten deutschen Kaiserreichs, einer Zeit, die einen regelrechten Kirchenbauboom erlebte, wie man auch hier im Saarland feststellen kann. Ihr Äußeres und Inneres wird ganz und gar durch den damals vorherrschenden Stil der Neogotik geprägt, der sich historisierend gern auch mit deutsch-nationalen Akzenten paart. Auch die theologische Ausrichtung eines Kulturprotestantismus und ein aufkommendes Neuluthertum sind prägend für erste Gestaltung der Johanneskirche:
 

Der Lettner im Chorraum, die zentrale Anordnung des Altars vor dem Lettner bei gleichzeitiger Positionierung der Kanzel an der rechten Seite, die Wappenmotive auf der Westempore – ein beredtes Bekenntnis zu der Verbindung von Thron und Altar. „Der Kirchenraum hatte eine sehr feierliche Atmosphäre,“ heißt es in einer Beschreibung. Die erste Gestaltung der Johanneskirche spiegelt einen selbstbewusst in Kultur und Tradition der Gesellschaft verankerten Protestantismus wieder.

Die Johanneskirche überstand den zweiten Weltkrieg nahezu ohne Zerstörungen.

Anfang der 60er Jahre erfolgte dann eine Neugestaltung des Innenraumes unter Heinrich Otto Vogel.
Der Lettner war schon früher entfernt worden, nun wurden die Orgelempore und die dahinterliegende Sakristei abgebrochen. Es entstand ein hoher, nüchterner Chorraum mit weit heruntergezogenen Fenstern, die von Künstlern aus Taizee gestaltet wurden. Das gesamte Innere der Kirche erschien nun sachlich und zurückhaltend, ein grau-weißer Anstrich ersetzte die bunte florale Ornamentik, die Engelsfiguren und Wappen. Der Altar sollte ursprünglich im Zentrum der Vierung stehen, wurde dann aber doch zentral im Chorraum positioniert. Die Kanzel wanderte von rechts nach links, ihre Gestaltung hob hervor, was die Theologie dieser Zeit vorgab:

Das Wort soll im Mittelpunkt stehen. Nichts soll wegführen und ablenken und nicht soll hinzugetan werden. Die Kirche des Wortes stellt sich in diesem Entwurf dar und bietet der Gemeinde einen entsprechenden Raum an, sich unter das Wort zu stellen.

Anfang der 90er Jahre erfolgte dann die dritte Umgestaltung durch Miroslav Wolf, die 1996 abgeschlossen wurde und die bis heute weitgehend erhalten ist. Der Altar findet nun endlich seinen Platz dort, wo er bereits in den 60er Jahren stehen sollte: In der Mitte der Vierung, so dass sich die Gemeinde tatsächlich um den Altar versammelt. Die Kanzel wird durch ein zierliches Lese- und Predigtpult ersetzt. Ein Taufbecken aus ebendemselben Saarstahl ergänzt die Prinzipalstücke.

Die Seitenemporen werden durch Abtrennungen nach unten verlängert, so dass um den Altar ein kompakter Raum entsteht und außerdem neue Räumlichkeiten geschaffen werden. Die orange Tönung der Seitenwände und die schlanken, hohen Lichtsäulen verbreiten eine warme und meditative Atmosphäre. Im hinteren Bereich entsteht ein Kommunikationsraum auch für den Alltag.
In Zeiten der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, in der sich Wertesysteme und Traditionen auflösen, wird die Johanneskirche zur offenen City-Kirche. Zu einem Raum der Besinnung einerseits und des Diskurses auf der anderen Seite. Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen finden hier genauso statt, wie Gottesdienste und Andachten. Aber man kann auch einfach so kommen und da sein.

Es wird deutlich, dass die evangelische Kirche kein völliges Eigenleben führt, sondern dass sie immer eingebunden ist in die gesellschaftlichen Veränderungen. Sie lebt nicht jenseits dieser Welt, sondern mitten in ihr. Und hat deshalb immer auch Teil an den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Ja, sie selbst bringt sich nicht nur in Wort und Tat, sondern auch im Ausdruck ihrer Bauten ein in den gesellschaftlichen Diskurs. Aufs Neue sucht die Johanneskirche der Stadt Bestes, in dem sie sich nicht aus der Gesellschaft auf die Insel der Seligen zurückzieht, sondern sich mittendrin und zentral verortet.

3. City-Kirche und Kirche in der Stadt – wem und wie zum Besten?

Die großen Kirchen in der Innenstadt von Saarbrücken haben in den letzten 25 Jahren eine Entwicklung erfahren, die sie vorher nicht kannten: Die Kirchengemeinden schrumpfen, die zur Verfügung stehenden Geldmittel werden knapper, es gibt nicht so viele haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende und eine tatkräftige Mitfinanzierung der Erhaltungskosten für diese Gebäude durch die öffentliche Hand ist keinesfalls mehr selbstverständlich, sondern darum muss in vielen zähen Einzelverhandlungen gerungen werden – oft ohne Erfolg.

Diese großen Herausforderungen haben immer wieder Presbyterien vor die Frage gestellt, wie lange sie diese Kirchen noch tragen können. Immer wieder geisterte das Gespenst von geschlossen Kirchen, die von Bauzäunen abgesperrt werden, durch die Öffentlichkeit. Gott sei Dank haben sind diese Gedankenspiele nie Wirklichkeit geworden. Der Bauzaun um die Johanneskirche, es war nach meiner Erinnerung im Jahr 2010, warb für den Bauverein, der sich daran gemacht hatte, die Sanierung der Außenfassaden der Johanneskirche zu verwirklichen. So wurde der Bauzaun zu einem Zeichen der Hoffnung: Wir tun etwas! Wir geben die Johanneskirche nicht auf! Sie soll weiter mitten in der Stadt stehen und dort der Stadt Bestes suchen!

Und so steht sie nun heute immer noch da: Zur Hälfte an der Außenfassade saniert. Sogar einige Figuren, die jahrzehntelang abgebaut worden waren, kehren zurück in die Realität der Johanneskirche, und bringen die gute Nachricht mit: Diese Kirche lebt, auch über 100 Jahre nach ihrer Entstehung, und sie wird weiterleben.

Als City-Kirche steht sie heute da, als Kirche in der Stadt, die sich diesem Anspruch in besonderer Weise stellt. Geänderte Gottesdienstzeiten und die Aufnahme von Themen des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses, aber auch Ausstellungen von Werken zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstlern, musikalische Veranstaltungen mit besonderen Akzenten und das Angebot einer verlässlichen Öffnung für Gebet und Stille, aber auch für ein persönliches Gespräch – alles das macht deutlich: Diese Kirche will mittendrin sein in der Gesellschaft, die sie umgibt. Sie will sich in ihren Diskurs einbringen und Deutungshorizonte eröffnen. Aber sie bringt in diese Deutungshorizonte immer auch ihre Wirklichkeitsdeutung ein: Den Glauben an den Gott, der in der Person von Jesus Christus in diese Welt kam, damit Hass, Gewalt, Unmenschlichkeit und Tod nicht mehr das letzte Wort haben. Und das dient dieser Stadt in der Tat zum Besten.

Die 120-jährige Geschichte der Johanneskirche zeigt uns ein Kirchengebäude, das immer aufs Engste mit dieser Stadt verbunden war und ist.
„Sucht der Stadt Bestes … und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“ – so hat der Prophet Jeremia bereits von ca. 2500 Jahren geraten. Die evangelische Kirche hat an dieser Stelle versucht, ihr Bestes zu geben. Wie wir sehen, hat Kirche, hat der christliche Glaube immer dann Zukunft – auch durch manche Widrigkeiten hindurch – wenn es ihr nicht nur um sich selbst geht, sondern auch um die Gesellschaft, in deren Mitte sie existiert. Amen.

Die Predigt können Sie hier auch downloaden.

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